Michael Patra

Wichtige erste Fragen

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Situation, dass jemand Externes in ein bereits existierendes Projektteam kommt, um bei der Lösung eines Problems zu helfen, oder dass ein vollkommen neues Team zusammengestellt wird. Mittels der folgenden Fragen kann in relativ kurzer Zeit ein Überblick über das Problem erreicht werden. Dieser Überblick ist oftmals dadurch behindert, dass für die Mitglieder des Projektteams, die ja in das Thema tief eingearbeitet sind, viele Dinge so selbstverständlich sind, dass sie gar nicht erst erwähnt werden.

Was ist das Problem? Was ist bekannt?

Diese Frage wird natürlich immer gestellt werden bzw. aus dem Projektteam werden diese Informationen auch unaufgefordert gegeben werden. Daher muss hierauf nicht weiter eingegangen werden.

Warum ist es ein Problem? Warum kann das Problem nicht einfach abgestellt werden?

Diese Frage ist nicht so trivial, wie sie vielleicht auf den ersten Blick scheint. Oftmals führen nämlich erst bestimmte Randbedingungen dazu, dass ein Problem zu einem echten Problem wird. Diese Randbedingungen werden häufig erst auf Nachfrage mitgeteilt, und diese Frage kann dabei helfen.

Als Beispiel hierfür betrachten wir einen Backofen, in dem Pizza gebacken werden soll. Diese Pizza kommt jedoch immer verbrannt aus dem Backofen heraus. Dieses ist also das Problem, welches unter „Was ist das Problem?“ genannt werden würde.

Dass im Backofen eine Pizza immer anbrennt, ist im Normalfall kein richtiges Problem, da man nur die richtige Temperatureinstellung herausfinden muss. Zu einem richtigen Problem wird dieses, wenn der Backofen sehr alt ist und daher keine kontinuierliche Temperatureinstellung erlaubt.

Im Normalfall ist verbrannte Pizza kein Anzeichen für ein „echtes“ Problem, also ein Problem, zu dessen Bearbeitung Problemlösungstechniken notwendig wären – man muss schließlich nur die Temperatur am Backofen beim nächsten Mal etwas kleiner wählen. Zu einem Problem wird es erst dann, wenn dieses der Backofen nicht unterstützt, also er entweder nur diskrete Temperaturstufen anbietet oder aber nur oberhalb einer gewissen Mindesttemperatur eine freie Temperaturwahl erlaubt. Beides kann bei alten Backöfen durchaus vorkommen. Um dieses aber herauszubekommen, kann eine Frage wie die obige helfen.

Was wurde bereits zur Problemlösung ausprobiert?

Diese Frage ist wiederum offensichtlich. Man erfährt jedoch nicht nur etwas über die bereits durchgeführten Aktionen als solches, sondern indirekt auch, welcher Art die Vermutungen über die Problemursache waren. Offensichtlich waren die bisherigen Versuche zur Problemlösung nicht erfolgreich – wenn sie erfolgreich gewesen wären, würde man schließlich nicht mehr an diesem Problem arbeiten. Durch diese Frage erfährt man also, wo kein Problem vorliegt bzw. was keine Ursache ist. Wie später im Abschnitt [secNichtProblem] noch erläutert werden wird, kann solches Wissen extrem hilfreich sein.

Was weiß ich nicht über das Problem, würde es aber gerne wissen?

Menschen möchten am liebsten nur gesicherte Erkenntnisse weitergeben. Durch diese Frage erfährt man auch, welche Gedanken und Spekulationen sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe gemacht haben, ohne dass hierbei sicheres Wissen herausgekommen worden wäre. Kenntnis von diesen Überlegungen kann trotzdem unheimlich hilfreich sein, da diese Überlegungen schließlich aus der Fachkompetenz der Arbeitsgruppe entstanden sind.

Warum ist eigentlich niemals ein größerer Bereich der Pizza verbrannt, sondern immer nur kleine oder mittelgroße Inseln?

Zum Beispiel ist die Pizza in der Abbildung zwar verbrannt, aber es ist nicht etwa ein bestimmter Teil der Pizza vollständig verbrannt, sondern die verbrannten Gebiete bilden mehrere getrennte Inseln. Wenn die Fachleute sagen, dass sie gerne wissen würden, woher dieser Effekt kommt, erfährt man indirekt etwas über deren Vermutungen über die Ursache des Problems – wahrscheinlich wird nicht nur in Richtung Temperatur gedacht, sondern auch, wie der beobachtete Effekt mit dem Belag oder der Zirkulation im Backofen zusammenhängen könnte.

Welche der gemachten Annahmen könnte man hinterfragen?

Bei Fachfragen muss man sich auf die betreffenden Fachleute verlassen können – ein Fachfremder kennt sich in ihrem Gebiet einfach nicht gut genug aus. Damit eine Arbeitsgruppe effizient arbeiten kann, müssen Fachleute auch immer interpretieren: Ein Materialwissenschaftler muss nicht nur gesicherte Informationen zu Streckgrenzen oder Gleitbändern beitragen, sondern auch Interpretation der Art „dort können sich keine Haarrisse bilden“. Interpretationen durch Fachleute sind also nicht schlecht, sondern notwendig.

Von außen ist aber nicht immer leicht zu unterscheiden, wie sicher welche der Interpretationen sind. Durch eine Frage wie die obige kann erkannt werden, was gesicherte wissenschaftliche Fakten, was plausible Annahmen und Interpretationen und was Vermutungen sind.

Wo ist ein Problem, wo ist kein Problem?