Michael Patra

Vergleich von Wertanalyse und wertanalytischer Betrachtung

Die Wertanalyse und die wertanalytische Betrachtung haben ein ähnliches Ziel, die Ergebnisse können jedoch im Einzelfall stark voneinander abweichen. Daraus ergibt sich natürlich unmittelbar die Frage, welches der beiden Verfahren das bessere ist.

Ergebnis der Wertanalyse (links) und der wertanalytischen Betrachtung (rechts) für den Filzschreiber.

Die wertanalytische Betrachtung hat den unbestreitbaren Vorteil, dass sie leichter und eindeutiger erstellbar ist. Aus dem Funktionsmodell folgen direkt die Funktionsränge, so dass der Mehraufwand gegenüber einer reinen Erstellung eines Funktionsmodells minimal ist. Für die Wertanalyse müssen dagegen Experten befragt werden, was mit einem größeren Aufwand verbunden sein kann.

Allerdings hat die Verwendung von Randindices auch Nachteile. Der Funktionsrang einer Funktion hängt nur davon ab, ob sie Basisfunktion, Zusatzfunktion oder Hilfsfunktion an – und dieses wiederum wird nur dadurch bestimmt, welche Komponente Ziel der Funktion, also Funktionsobjekt ist – nicht aber davon, was die Funktion eigentlich macht.

Betrachten wir als Beispiel ein Auto. Die Hauptfunktion eines Autos ist es, Personen zu transportieren. Damit sind die Insassen die Zielkomponente des technischen Systems Automobil. Jede Funktion, die auf die Insassen des Autos wirkt, ist damit eine gleichberechtigte Basisfunktion, die mit dem selben Funktionsrang bewertet wird:

Alle drei Komponenten erhalten also einen identischen Beitrag zum Rangindex, obwohl man sicherlich sagen kann, dass die Karosserie eine wichtigere Komponente als der im Sonnenschutz eingebaute Schminkspiegel ist. Dieses Beispiel demonstriert den Hauptnachteil der wertanalytischen Betrachtung gegenüber der Wertanalyse.

In einem Auto üben der Schminkspiegel und das Radio Basisfunktionen aus und haben deshalb einen höheren Funktionsrang als der Motor, der nur eine Hilfsfunktion ausübt.

Im folgende Beispiel ist dieses anders, obwohl auf den ersten Blick auch hier die wertanalytische Betrachtung nur eingeschränkt sinnvolle Daten ergibt. Im Anschluss wird jedoch gezeigt werden, dass dahinter eine bestimmte Denkweise steht und diese Denkweise durchaus Sinn ergibt.

Betrachtet werden die folgenden drei Funktion in einem Automobil:

Schminkspiegel informiert Insasse:

Ziel der Funktion ist die Zielkomponente des Automobils, nämlich der Insasse. Damit ist die Funktion eine Basisfunktion und trägt 3 Rangindexpunkte bei.

Hupe informiert anderen Autofahrer: Das Ziel der Funktion liegt im Obersystem des Autos. Damit ist die Funktion eine Zusatzfunktion und trägt 2 Rangindexpunkte bei.

Motor dreht Räder: Das Ziel der Funktion liegt innerhalb des technischen Systems Auto. Damit ist die Funktion eine Hilfsfunktion und trägt 1 Rangindexpunkt bei.

Die geringe Bewertung des Motors im Vergleich zu den anderen beiden Komponenten mag auf den ersten Blick vielleicht verwundern. Es gibt jedoch einen tieferen Grund für diese geringe Bewertung: Eigentlich wäre es viel besser, wenn sich die Räder von selber drehten. Der Motor ist nichts weiter als ein Notbehelf, weil noch keine technisch Implementierung sich selbst drehender Räder realisiert wurde.

Dieses hört sich vielleicht etwas philosophisch an, aber bei Zügen wurde dieses bereits realisiert: Die Lokomotive war früher ein Notbehelf, um die Waggons vorwärts zu bewegen. Heutzutage sind die meisten neueren Züge Triebwagenzüge ohne Lokomotive. Der geringe Funktionsrang des Motors soll als Erinnerung dienen, nach Wegen Ausschau zu halten, den Motor vielleicht weglassen zu können.

Die Lokomotive eines herkömmlichen Zuges (links) entspricht dem Motor eines Autos. In einem Triebwagenzug gibt es keine Lokomotive mehr, weil die Antriebsfunktion in die Achsen der einzelnen Waggons integriert worden ist.

Umgekehrt ist der Schminkspiegel im Auto zwar nur ein kleines Accessoire, ist aber manchmal kaufentscheidend: Der Spiegel richtet sich direkt an denjenigen, der letztendlich über die Kaufentscheidung bestimmt. Unter Umständen entscheidet sich der Kunde nur deswegen für ein anderes Automodell, weil er gerne einen Schminkspiegel haben möchte und andere Automodelle nun einmal mit einen Schminkspiegel ausgestattet sind.

Die Hupe übt eine Funktion auf das Obersystem aus, indem andere Fahrer oder Passenten über eine Gefahr informiert werden können. Man darf nie das Folgende vergessen: Ein technisches System kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Wechselwirkung mit dem Obersystem gut ist. Mit anderen Worten: Am Markt durchsetzen wird sich nicht das an sich beste technische System, sondern das System, welches am besten an das Obersystem angepasst ist.

Die Hupe ist ein sehr gutes Beispiel für die Anpassung an das Obersystem. Das Obersystem akzeptiert keine technischen Systeme „Auto“, die nicht mit einer Hupe ausgestattet sind. Autos ohne Hupe werden vom Obersystem aktiv bekämpft, mittels Kraftfahrzeugbundesamt, TÜV und Polizei. Der höhere Rang von Zusatzfunktionen im Vergleich zu Hilfsfunktionen soll die potentielle Wichtigkeit für die Akzeptanz durch das Obersystem anzeigen.