Die Ursache-Wirkungs-Analyse (Root Cause Analysis, RCA) beschäftigte sich nur mit den negativen Auswirkungen eines Zustandes. Die Grundkonfliktanalyse dagegen notiert gleichberechtigt auch die positiven Auswirkungen eines Zustandes. Wenn ein Zustand positive und negative Auswirkungen hat, so bildet er einen Konflikt. Weiter oben wurde bereits ein Diagramm mit einem solchen Konflikt gezeigt, er wurde allerdings eher zufällig gefunden.
Die Ursache-Wirkungs-Analyse bot einen systematischen Weg, nach Grundursachen für unerwünschte Zustände zu suchen. Die Grundkonfliktanalyse bietet nun einen systematischen Weg, Grundkonflikte zu finden. Hierfür ist nicht nur ein Ausgangsproblem festzulegen, also ein unerwünschter Zustand, sondern zusätzlich sollten auch erwünschte Zustände bzw. erwünschte Aspekte festgehalten werden. Diese Aspekte beschreiben letztendlich das Anforderungsprofil an das System, also z.B. an einen Abfallbehälter.
Ein negativer Aspekt für einen Abfallbehälter ist es zum Beispiel, wenn es wegen ihm zu einer Geruchsbelästigung kommt. Positive Aspekte sind dagegen, dass Müll in ihn eingeworfen wird, d.h., dass er von den Passanten tatsächlich genutzt wird. Zusätzlich sollen die laufenden Kosten für Wartung, Leerung usw. möglichst gering sein. Die positiven und negativen Aspekte sind hier durch die Farbe markiert.
Analog zu den vorherigen Abschnitten können nun die Kausalabhängigkeiten für den Abfallbehälter ergänzt werden. Durch Pfeile wird angegeben, in welche Richtung die Abhängigkeit geht, d.h., die Abhängigkeit geht vom Ende des Pfeiles zur Spitze des Pfeiles.
Bei den dargestellten Abhängigkeiten gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen kann ein „mehr“ des Ursachenzustandes dazu führen, dass „mehr“ vom Wirkungszustand entsteht. Je mehr die Öffnung schlecht erreichbar ist, desto mehr Müll wird unabsichtlich neben dem Behälter liegen.
Die Farbe der Pfeile gibt an, ob die Ursache die Wirkung verstärkt (schwarzer Pfeil) oder abschwächt (roter Pfeil).
Es kann aber auch so sein, dass ein „mehr“ der Ursache zu einem „weniger“ der Wirkung führt. Je mehr Regenschutz vorhanden ist, desto weniger Regen kann in den Abfallbehälter fallen. Diese Invertierung der Auswirkung wird markiert, indem der entsprechende Pfeil rot an Stelle von schwarz gezeichnet wird.
In einer Grundkonfliktanalyse werden tendenziell mehr Abhängigkeiten als in einer reinen Ursache-Wirkungs-Analyse betrachtet. Dies liegt daran, dass auch positive Auswirkungen jetzt berücksichtigt werden. Das Fehlen eines Regenschutzes hatte in der Ursache-Wirkungs-Analyse die rein negative Folge, dass der Abfall im Behälter feucht werden konnte. Die positive Folge, dass der potentielle Benutzer hierdurch leichter an die Einwurföffnung kommt, wurde dort nicht berücksichtigt. Eine Grundkonfliktanalyse enthält diese zusätzliche Abhängigkeit. Die folgende Abbildung zeigt das Diagramm mit allen Abhängigkeiten.
Im Diagramm sind nur drei Kästchen farblich markiert, d.h., bisher haben wir nur für diese drei Zustände festgelegt, ob sie positiv oder negativ sind. Dieses muss noch auch für alle anderen Kästchen geschehen – und zwar in einer systematischen Art und Weise, die nur die kausalen Abhängigkeiten, also die roten und schwarzen Pfeile verwendet.
Die Farben fließen entlang der schwarzen Pfeile, und zwar in umgekehrter Richtung, also von der Pfeilspitze ausgehend zur Basis des Pfeiles. In anderen Worten: Die Eigenschaft, ein positiver oder negativer Zustand zu sein, breitet sich entgegen der Richtung der kausalen Abhängigkeiten im Diagramm aus. Wenn der Abfallbehälter wartungsarm ist, so führt dieses zu geringen laufenden Kosten. Da geringe laufende Kosten grün, also ein positiver Zustand sind, ist auch der Zustand „Abfallbehälter ist wartungsarm“ ein positiver Zustand und kann grün markiert werden.
Wenn stinkender Abfall neben dem Abfallbehälter liegt, so führt dieses zu Geruchsbelästigung. Da Geruchsbelästigung am Abfallbehälter rot, also ein negativer Zustand ist, so gilt dieses auch für den Zustand „stinkender Müll liegt neben dem Behälter“.
Im Diagramm gibt es neben den schwarzen jedoch auch rote Pfeile zur Notation der kausalen Abhängigkeiten. Auch hierbei fließen die Farben entgegen der Pfeilrichtung, jedoch muss dann jeweils die inverse Farbe verwendet werden.
Ist mehr Regenschutz vorhanden, so wird der Abfall weniger feucht. Feuchter Abfall ist negativ (rote Farbe), daher ist ein vorhandener Regenschutz positiv. Wenn die Öffnung „mehr“ klein ist, so kann Müll „weniger“ leicht eingeworfen werden. Da es positiv ist, wenn Müll leicht eingeworfen werden kann (grüne Farbe), ist eine kleine Öffnung negativ.
Wendet man die obigen Regeln iterativ auf das gesamte Diagramm an, so ergibt sich ein neues Diagramm, in dem fast alle Kästchen eingefärbt sind. Für einige wenige Kästchen ergeben die obigen Regeln sich widersprechende Farben, daher wurden die betreffenden Kästchen erst einmal nicht eingefärbt.
Drei Kästchen konnten nicht eingefärbt werden, weil die obigen Regeln widersprüchliche Farbvorgaben ergeben. Die folgende Skizze zeigt die entsprechenden Ausschnitte des Diagramms und gibt für jeden Pfeil, also für jede kausale Abhängigkeit an, welche Farbe sich für das gelbe Kästchen ergeben würde, wenn nur der jeweilige Pfeil relevant wäre.
Wenn ein Kästchen gemäß den Regeln rot eingefärbt wird, so bedeutet dies, dass der betreffende Zustand negativ ist. Wenn ein Kästchen gemäß den Regeln grün eingefärbt wird, so bedeutet dies, dass der betreffende Zustand positiv ist. Geben verschiedene Regeln für dasselbe Kästchen unterschiedliche Farben vor, so ist der betreffende Zustand also gleichzeitig positiv und negativ. Es handelt sich damit um einen Grundkonflikt. Durch systematisches Einfärben der Kästchen im Diagramm ergeben sich also in systematischer Weise alle Grundkonflikte – es handelt sich dabei um genau die Kästchen, die gemäß der Regeln nicht bzw. nur widersprüchlich eingefärbt werden können.
Es sei an dieser Stelle an die Definition einer Grundursache aus dem Abschnitt [secGrundursachen] erinnert. Eine Grundursache ist ein negativer Zustand, der nur Ursache für andere Zustände, nicht aber Folge anderer Zustände ist. Es handelt sich also um die roten Kästchen, zu denen keine Pfeile gehen, sondern von denen nur Pfeile ausgehen. Auch die Grundursachen ergeben sich also direkt aus dem Diagramm. Wie bereits weiter oben beschreiben, bezeichnet man typischerweise nur solche Grundursachen als „echte“ Grundursachen, die man im Prinzip abändern könnte. Macht man dieses, so ergibt sich das endgültige Diagramm, in dem die Grundkonflikte und die Grundursachen noch einmal explizit markiert sind.
Grundursachen können abgestellt werden: Es gibt keinen Grund dafür, weswegen der Abfallbehälter an einer ungünstigen Stelle angebracht sein sollte; man darf den Abfallbehälter daher an eine andere, günstigere Stelle versetzen. Bei Grundkonflikten ist das Vorgehen schwieriger, da jede Veränderung zum Besseren auch Nachteile hervorruft. Egal ob die Einwurföffnung größer oder kleiner wird, beides hat gleichzeitig positive und negative Auswirkungen.
Zur Lösung von Grundkonflikten müssen daher „erfinderische Mittel“ eingesetzt werden. Die Öffnung des Abfallbehälters soll groß sein – aber nur dann, wenn etwas eingeworfen werden soll. Die Öffnung des Abfallbehälters soll aber auch klein sein – nämlich genau dann, wenn nichts eingeworfen werden soll. Dieser Grundkonflikt könnte also zum Beispiel mit einer Klappe gelöst werden. Der Grundkonflikt über die Leerungsfrequenz könnte zum Beispiel so gelöst werden, dass bei kaltem Wetter seltener und bei warmem Wetter häufiger geleert wird.