Der Zweck einer Komponente kann durch die Funktionen, die sie als Funktionsträger zur Verfügung stellt, beschrieben werden. Das technische System selber ist ebenfalls eine Komponente gemäß der entsprechenden Definition, und daher kann auch der Zweck des technischen Systems als Ganzes durch Funktionen beschrieben werden.
Ein technisches System kann viele Funktionen erfüllen – von diesen Funktionen sind es aber nur wenige, weswegen das technische System erfunden bzw. entwickelt worden war. Diese Funktionen heißen Hauptfunktionen des Systems. Dass eine Funktion Hauptfunktion ist, bedeutet nicht zwingend, dass sie diejenige Funktion ist, die hauptsächlich oder am besten ausgeführt wird.
Eine Glühlampe erzeugt viel mehr Wärmestrahlung als sichtbares Licht. Trotzdem ist die Lichterzeugung ihre Hauptfunktion.
Eine Glühlampe wandelt weniger als 5% der elektrischen Energie in sichtbares Licht um, während der Rest in Form von Wärme abgegeben wird. Eine Glühlampe führt also primär die Funktion „Glühlampe erwärmt Umgebung“ aus. Erfunden worden ist die Glühlampe jedoch wegen der Funktion „Glühlampe erzeugt Lichtfeld“, und dies ist deswegen auch ihre Hauptfunktion.
Das Funktionsobjekt einer Hauptfunktion heißt Zielkomponente des technischen Systems. Die Zielkomponente einer Glühlampe ist das Lichtfeld. Die Zielkomponente einer Papierschere ist Papier. Die Hauptfunktion eines Stuhls lautet „Stühl hält Person“, und die Zielkomponente ist damit die Person.
Ein System kann mehrere Hauptfunktion und mehrere Zielkomponenten besitzen. Das beste Beispiel hierfür ist ein Schweizer Taschenmesser. Es wurde gerade deswegen entwickelt, um viele verschiedene Funktionen ausführen zu können, die auch jeweils eine andere Zielkomponente besitzen: herausziehen eines Korkens, schneiden von Essen, kürzen von Fingernägeln, …
Was ist nun die Hauptfunktion eines Filzschreibers? Man könnte versucht sein, als Funktion etwas wie „Filzschreiber färbt Papier“ zu formulieren. Dieses ist jedoch falsch: Eine Funktion ist eine Wirkung, durch die ein Parameter einer Komponente verändert oder erhalten wird. Ein Filzschreiber verändert jedoch keinen Parameter des Papiers. Dies mag auf den ersten Blick vielleicht verwundern, wird jedoch schnell klarer, wenn an Stelle eines Filzschreibers ein Whiteboardmarker betrachtet wird.
Ein Whiteboardmarker verändert das Whiteboard nicht, da er ansonsten nicht wieder weggewischt werden könnte.
Das Schreiben mit einem Whiteboardmarker führt dazu, dass an den entsprechenden Stellen auf dem Whiteboard Licht anders reflektiert wird. Dieses bedeutet jedoch nicht, dass das Whiteboard dort verändert worden wäre – jede Veränderung (z.B. eine chemische Reaktion) würde dazu führen, dass man das Geschriebene nicht wieder abwischen könnte. Vielmehr wird vom Stift eine dünne Schicht Tinte, die vom Whiteboard nur gehalten wird, abgegeben.
Zwischen einem Whiteboardmarker und einem Filzschreiber gibt es in seiner Funktion jedoch keinen prinzipiellen Unterschied. Eine mögliche Formulierung der Hauptfunktion eines Filzschreibers lautet also „Filzschreiber gibt Tinte ab“. Das Verb „abgeben“ bedeutet hierbei, dass die Tinte in einer kontrollierten Menge (nicht zu viel und nicht zu wenig) entlang eines kontrollierten Weges (zu der Spitze der Mine) geführt wird.
Gemäß Definition muss jedes technische System einen Zweck erfüllen. Dieser Zweck muss außerhalb des technischen Systems liegen – ansonsten wäre das System primär mit sich selber beschäftigt. Dieser Zweck wird durch die Hauptfunktion des Systems beschrieben, und der „Nutznießer“ des Zwecks durch die Zielkomponente. Damit muss die Zielkomponente außerhalb des betrachteten technischen Systems liegen.
Wären die rot geschriebenen Funktionen Hauptfunktionen, so wäre das technische System primär erfunden worden, um mit sich selber beschäftigt zu sein. Erst die grün geschriebenen Funktionen rechtfertigen die Existenz des Systems.
Hauptfunktionen können fehlerhaft formuliert werden, und die obige Abbildung zeigt einige Beispiele für denkbare Fehler sowie die entsprechenden korrekte Formulierungen. Der Zwang, die Zielkomponente korrekt zu bestimmen, hat einen wichtigen Hintergrund: Nur wenn klar ist, „wem“ das System etwas Gutes tun soll, können die richtigen Anforderungen und Wünsche an das System bestimmt werden – was für den ökonomischen Erfolg eines Systems natürlich essentiell ist.
Die Notwendigkeit, dass die Zielkomponente außerhalb des Systems liegen muss, zwingt einen manchmal zu Entscheidungen bei der Frage, wie das technische System von seinem Obersystem abgegrenzt werden soll. Als Beispiel betrachten wir eine Getränkeflasche. Das System heißt „Flasche“, und es besteht es aus den beiden Systemkomponenten Kappe und Flaschenkörper.
Das Getränk kann als Komponente der Flasche modelliert werden. Wird dieses nicht getan, so wird das Getränk zu einer Obersystemkomponente.
Wie sieht es bei einer gefüllten Flasche aus? Man muss die Entscheidung treffen, ob das Getränk ein Teil der Flasche sein soll oder nicht. Beide Entscheidungen sind korrekt, aber in beiden Fällen muss dann mit dieser Entscheidung konsistent weitergegangen werden.
Wird das Getränk als Teil der Flasche angesehen, so ist es eine Systemkomponente; im anderen Fall wird das Getränk zu einer Obersystemkomponente. Alle weiteren Gegenstände in der Umgebung gehören zum Obersystem.
Wird nun etwas vom Getränk ausgegossen, so ergibt sich eine unterschiedliche Situation je nach oben gemachter Wahl. Wird das Getränk als Teil des Obersystems angesehen, so wurde jetzt ein Teil einer Obersystemkomponente von einem Ort (innerhalb der Flasche) an einen anderen Ort bewegt. Wurde das Getränk dagegen als Systemkomponente modelliert, so hat sich das System „Flasche“ plötzlich in zwei Teile gespalten: In einen größeren Teil und einen kleineren Teil, wobei sich letzterer jetzt im Becher befindet.
Ist das Getränk ein Teil der Flasche, so spaltet sich die Flasche beim Ausgießen in zwei Teile – das Getränk im Becher ist schließlich ein Teil der Flasche.
Für die Formulierung der Hauptfunktion der Flasche liefern beide Ansätze vollkommen verschiedene Ergebnisse. Ist das Getränk kein Teil der Flasche, so ist das Getränk Zielobjekt der Flasche: Flasche hält Getränk, Flasche speichert Getränk, Flasche gibt Getränk ab (=führt das Getränk entlang einer vorgegebenen Bahn), …sind denkbare Hauptfunktionen. Ist das Getränk dagegen ein Teil der Flasche, so kann es nicht Zielkomponente der Hauptfunktionen sein – alle eben formulierten Hauptfunktionen scheiden damit aus. Die Hauptfunktion der Flasche wäre jetzt z.B. Flasche erfrischt Mensch. Dies zeigt, dass der sinnvolle Ansatz (Getränk Teil des Systems „Flasche“ oder nicht) primär davon abhängt, für wen man die Flasche modelliert – ein Glaswerk wird das Getränk als Teil des Obersystems modellieren, ein Erfrischungsgetränkefabrikant dagegen als Teil des Systems „Flasche“.
Ähnliches wie für die Getränkeflasche gilt auch für den Filzschreiber. In diesem Dokument wird als seine Hauptfunktion „Filzschreiber gibt Tinte ab“ gewählt. Dieses bedeutet, dass die Tinte nicht als Teil des Filzschreibers, sondern als Teil des Obersystems angesehen wird.
Auch hier kann der umgekehrte Standpunkt eingenommen werden, d.h., die Tinte wird als Bestandteil des Filzschreibers modelliert. Beim Schreiben spaltet sich der Filzschreiber dann also auf, und ein Teil von ihm bleibt dann auf dem Papier. Auf den ersten Blick erscheint das Aufspalten des Stiftes in zwei Teile vielleicht widernatürlich zu sein, aber wird ein anderes Zeichenwerkzeug, nämlich ein Stück normaler Schulkreide betrachtet, so gibt es keine andere Möglichkeit der Modellierung: Etwas vom großen Kreidestück bleibt in dünner Form auf der Tafel zurück.
Ein Stück Kreide schreibt, indem ein Teil des technischen Systems „Kreide“ sich abspaltet und auf der Schreibfläche zurückbleibt.
Ist die Tinte Bestandteil des Filzschreibers, so kann sie nicht Zielobjekt der Hauptfunktion sein. Eine denkbare Hauptfunktion lautet jetzt „Filzschreiber informiert Person“, denn dafür ist der Filzschreiber letztendlich entwickelt worden: ein Parameter (Wissenszustand) des Betrachters soll verändert werden.
Die Festlegung der Hauptfunktion und damit auch der Zielkomponenten sollte immer durchgeführt werden, auch wenn diese Information im Rahmen der Funktionsmodellierung nur von eingeschränkter Wichtigkeit ist – einzige Auswirkung bei der Funktionsmodellierung ist, dass im graphischen Funktionsmodell für die Zielkomponente eine spezielle Rahmenform verwendet wird. Für weitergehende Analysen ist das Wissen über die Hauptfunktion und die Zielkomponente jedoch wichtig.