Michael Patra

Hierarchiewahl

Zur Funktionsanalyse muss festgelegt werden, für welches technisches System diese eigentlich durchgeführt werden soll. Aus dieser Wahl ergibt sich dann, was Obersystem und was Untersysteme sind. Dieselbe Komponente kann einmal System, einmal Obersystem und einmal Untersystem sein, abhängig von der Aufgabenstellung bzw. vom Auftraggeber. Die Abbildung zeigt dieses für verschiedene Komponenten aus dem Verkehrsbereich. Für einen Automobilhersteller ist das Auto das relevante System, während es für einen Automobilzulieferer das Obersystem und für das Verkehrsministerium ein Untersystem ist.

Die Antwort auf die Frage, was als Obersystem, System bzw. Untersystem bezeichnet wird, hängt davon ab, wer diese Frage stellt.

Die folgende Abbildung zeigt die Baumstruktur eines Autos. Je tiefer man in diese Baumstruktur herunter geht, desto detallierter (also kleiner) werden die Komponenten. An Hand dieses Baum soll die Wahl der der richtigen Komponenten für die Analyse erläutert werden.

Baumstruktur des Aufbaus eines Autos

Als Beispiel sind wir der Verantwortliche für den Motor des Autos. Dementsprechend ist das technische System die Komponente „Motor“. Die Komponenten des Motors werden dann zu den betrachteten Untersystemen, d.h., diese erscheinen als Komponenten im Funktionsmodell.

Untersysteme des Systems „Motor“

Nur die Ebene direkt unterhalb des Motors bildet die Untersysteme. So ist zum Beispiel der Kolben ein Untersystem des Motors. Dass dieser Kolben selber wiederum aus Komponenten zusammengesetzt ist, wird im Funktionsmodell ignoriert. Dieses Ignorieren ist sehr sinnvoll, denn in einem vernünftig konstruierten Motor braucht der Verantwortliche für den Motor nicht im Details zu verstehen, wie der Kolben zusammengesetzt ist – er muss nur wissen, wie sich der Kolben nach außen hin verhält.

Untersysteme des Systems „Kolben“.

In der Organisation des Automobilherstellers wird es auch jemanden geben, der für die Entwicklung des Kolben verantwortlich ist. Dieser wird dementsprechend System und Untersysteme wie in der obigen Abbildung wählen.

Die Untersysteme eines Systems sind also immer die ihm direkt untergeordneten Komponenten. Für die Obersystemkomponenten gibt es keine so einfache Regel. Obersystemkomponenten befinden sich auf derselben oder einer höheren Ebene als das betrachtete System. Für den Kolben ist in der folgenden Abbildung das Obersystem grün markiert.

Das Obersystem des Kolbens ist grün markiert. Es enthält jedoch sehr viele Komponenten, die für den Kolben gar nicht relevant sind.

Eine solche Aufstellung der Obersystemkomponenten ist jedoch nicht sinnvoll: Die meisten Komponenten, die formal zum Obersystems gehören, sind für das betrachtete System vollkommen irrelevant. Es gibt zum Beispiel keinen Zusammenhang zwischen dem Kolben im Motor und den Sitzen im Auto. Es müssen für die weitere Bearbeitung also die relevanten Obersystemkomponenten herausgesucht werden. Ein denkbares Ergebnis ist in der folgenden Abbildung dargestellt.

Relevante Obersystemkomponenten für den Kolben.

Für die Auswahl der Obersystemkomponenten gibt es eine wichtige Regel: Wird eine Komponente als relevante Obersystemkomponente ausgewählt, so darf keine weitere Komponente, die im selben Baum oberhalb oder unterhalb von ihr liegt, ebenfalls ausgewählt werden. Wird also der Drive Train ausgewählt, so darf die Antriebswelle nicht ausgewählt werden. Umgekehrt gilt dasselbe. In anderen Worten: man muss sich entscheiden, ob man eine Komponente als Ganzes oder aber ihre Teile in die Analyse aufnehmen möchte – beides gleichzeitig ist jedoch nicht erlaubt. Aus dieser Regel folgt insbesondere, dass weder der „Motor“ als Ganzes noch das „Auto“ als Ganzes eine relevante Obersystemkomponente sein können, da der Kolben (also ein Teil des Motors bzw. des Autos) bereits als Komponente in der Analyse vorhanden ist.

Die hier dargestellt Auswahl von Obersystemkomponenten ist fehlerhaft, weil gleichzeitig sowohl der Drive Train als auch Teile des Drive Trains ausgewählt sind.

Der Grund für diese Regel ist leicht zu verstehen: Bei der Modellierung soll man sich entscheiden, ob Wissen über den internen Aufbau einer Komponente wichtig ist oder aber nicht. Bei dieser Entscheidung soll man dann auch bleiben und sie konsistent umsetzen. Ist es nicht wichtig, wie der Drive Train aufgebaut ist, so ist eine Obersystemkomponente „Drive Train“ ausreichend, und es gibt keinen Grund, die Existenz einer Antriebswelle, einer Schaltung und/oder einer Kupplung überhaupt zu erwähnen. Ist umgekehrt der interne Aufbau wichtig, so sollte man immer konkret angeben, ob man sich auf die Antriebswelle, die Schaltung und/oder die Kupplung bezieht. Der Drive Train als Ganzes braucht dann nicht mehr erwähnt zu werden und muss dementsprechend auch nicht mehr als Obersystemkomponente modelliert werden.

Modellierungszeitpunkte