Wird ein technischer Widerspruch aufgestellt, so ergibt die Widerspruchsmatrix typischerweise drei oder vier innovative Prinzipien, die zur Lösung vorgeschlagen werden. Wird ein physikalischer Widerspruch aufgestellt, so muss zuerst ein geeignetes Separationsprinzip ausgewählt werden. Dieses ergibt dann eine etwas größere Zahl verschiedener Innovationsprinzipien, die angewendet werden sollten.
Ein technischer Widerspruch ergibt also weniger Innovationsprinzipien, ist damit also scheinbar fokussierter. Ein physikalischer Widerspruch ergibt mehr Innovationsprinzipien, erlaubt damit scheinbar mehr Lösungen. Diese beiden Aussagen sind jedoch zu einfach. Hierzu ein Beispiel:
Empfindliche flüssige Medikamente werden in Ampullen gelagert und transportiert. Nach dem Befüllen der Ampulle wird die Öffnung mittels einer Flamme zugeschmolzen.
Viele Medikamente oder auch andere Chemikalien reagieren empfindlich auf den Sauerstoff in der Luft. Um solche Substanzen sicher lagern und transportieren zu können, werden sie in Glasampullen eingeschmolzen. Die einseitig offene Ampulle wird mit der betreffenden Flüssigkeit gefüllt. Die Öffnung wird dann in einer Flamme erhitzt, so dass das Glas flüssig wird und die Ampulle verschließt. Dieses Verfahren kann jedoch problematisch sein, wenn die eingeschlossene Substanz hitzeempfindlich ist. Wird eine Flamme mit geringerer Temperatur gewählt, so wird unter Umständen nicht genügend Glasmaterial flüssig, so dass die Ampulle nicht vollständig geschlossen wird und damit später Luftsauerstoff eintreten kann. Dieses führt unmittelbar zu den zwei folgenden technischen Widersprüchen:
Wenn die Flamme heiß ist,
dann wird die Ampulle sicher verschlossen,
aber das Medikament wird thermisch zerstört.Wenn die Flamme kalt ist,
dann wird das Medikament nicht thermisch angegriffen,
aber die Ampulle wird nicht sicher verschlossen.
Die Aufgabenstellung umfasst drei Komponenten, nämlich die Flamme, die Ampulle und das eingeschlossene Medikament. Die Farben werden im Folgenden dazu verwendet, auf diese drei Komponenten zu verweisen.
Für diese Aufgabe sind drei verschiedene Komponenten relevant. Die Farbe rot wird im Folgenden für die Flamme, die Farbe grün für die Ampulle und die Farbe blau für die Medizin verwendet. Färbt man die technischen Widersprüche entsprechend ein, so ergibt sich:
Wenn die Flamme heiß ist,
dann wird die Ampulle sicher verschlossen,
aber das Medikament wird thermisch zerstört.Wenn die Flamme kalt ist,
dann wird das Medikament nicht thermisch angegriffen,
aber die Ampulle wird nicht sicher verschlossen.
Alle drei beteiligten Komponenten sind also in den technischen Widersprüchen vorhanden. Ergibt sich nun aus der Widerspruchsmatrix ein anzuwendendes innovatives Prinzip, so ist nicht klar, auf welche der drei Komponenten dieses anzuwenden ist. Die folgenden drei Beispiele zeigen, dass sich für jede der drei Komponenten aus innovativen Prinzipien eine Lösungsidee generieren lässt.
IP „Prinzip des Durcheilens“: An Stelle einer kontinuierlich brennenden Flamme wird eine pulsierende Flamme verwendet. Bei einer kontinuierlich brennenden Flamme wird die Öffnung der Ampulle nur langsam wärmer. Im Zeitraum, bis das Glas dort geschmolzen ist, wurde bereits viel Wärme bis zur Medizin weiterleitet. Wird dagegen ein sehr kurzer, aber extrem heißer Feuerstoß verwendet, so wird die Öffnung der Ampulle aufgeschmolzen, aber der Wärmeverlust in Richtung Medizin ist in dieser kurzen Zeit viel kleiner.
IP „Vorherige Gegenaktion“: Die Medizin wird kurz vor dem Zuschmelzen der Ampulle stark abgekühlt, oder die stark abgekühlte Medizin wird erst unmittelbar vor dem Zuschmelzen eingefüllt. Falls die Medizin es erlaubt, kann sie sogar gefroren werden. Beim Zuschmelzen der Ampulle erwärmt sich die Medizin dann weiterhin. Da die Ausgangstemperatur jedoch geringer war, wird dabei keine so hohe Endtemperatur erreicht.
IP „Lokale Qualität“: Die Ampulle wird nur im Bereich der Öffnung erhitzt, während sie in den anderen Bereichen gekühlt wird. Dieses kann zum Beispiel erreicht werden, indem sie in ein Wasserbad gestellt wird, so dass nur die Öffnung herausragt.
Ein technischer Widerspruch kann sich also auf die Eigenschaften von bis zu drei Komponenten beziehen. Ein physikalischer Widerspruch bezieht sich dagegen immer auf die Eigenschaften nur einer Komponente. Die anderen Komponenten treten höchstens in den Begründungen für die gewünschten Eigenschaften auf:
Die Ampulle soll heiß sein, damit die Öffnung sicher verschmolzen wird,
und die Ampulle soll kalt sein, damit die Medizin nicht zu stark erhitzt wird.
Durch die Frage danach, wo diese Eigenschaften jeweils gewünscht sind, erkennt man schnell, dass eine Separation im Ort ausprobiert werden sollte. Durch die Wahl der Separationsart „Separation im Ort“ ergibt sich dann eine Liste innovativer Prinzipien, die angewendet werden sollten.
Ein physikalischer Widerspruch führt meistens zu einer Liste von sechs oder sieben innovativen Prinzipien, die auf diejenige Komponente, auf die sich der Widerspruch bezieht, angewendet werden. Ein technischer Widerspruch führt meistens nur zu drei oder vier innovativen Prinzipien – diese können jetzt aber jeweils auf mehrere Komponenten angewendet werden. Die Gesamtzahl der denkbaren Lösungsansätze beträgt dann also zwischen drei und zwölf. Was die Anzahl der Lösungsansätze mittels Widerspruchs und innovativer Prinzipien betrifft, ist der Unterschied zwischen einem technischen und einem physikalischen Widerspruch also eher klein.