Michael Patra

Widerspruchsmatrix

Die Widerspruchsmatrix erlaubt es, aus einem technischen Widerspruch eine Liste innovativer Prinzipien zu seiner Behebung abzulesen. Die Einträge in der Widerspruchsmatrix sind statistischer Art, d.h., aufgeführt sind die innovativen Prinzipien, die in der Vergangenheit bei ähnlichen technischen Widersprüchen am häufigsten umgesetzt worden waren, um zu einer Lösung des Widerspruchs zu kommen. Dies bedeutet nicht, dass die in der Widerspruchsmatrix aufgeführten innovativen Prinzipien für das eigene, konkrete Problem immer zu einer Lösung führen würden – mit den dort vorgeschlagenen Prinzipien ist es allerdings deutlich wahrscheinlicher, eine Lösung zu finden.

Ein technischer Widerspruch ist die kompakte Zusammenfassung einer technischen Entwicklungsaufgabe. Beispiele sind

Wenn der Motor stärker wird,
dann kann das Auto schneller fahren,
aber er verbraucht mehr Benzin.

und

Wenn die Versorgungsspannung erhöht wird,
dann dann leuchtet die Lampe heller,
aber sie verschleißt schneller.

Um einen solchen Widerspruch für die Auswahl innovativer Prinzipien mittels der Widerspruchsmatrix nutzen zu können, muss er abstrahiert werden. Hierfür werden die Vorteile und Nachteile durch Parameter aus einer Liste, die sogenannten technischen Parameter, ersetzt. Beim Vorteil verbessert sich der entsprechende Parameter, beim Nachteil verschlechtert er sich:

Auto kann schneller fahren ⇒ Geschwindigkeit
Benzinverbrauch steigt ⇒ Energieverbrauch eines beweglichen Objekts

Lampe leuchtet heller ⇒ Helligkeit
Lampe verschleißt schneller ⇒ Haltbarkeit eines unbeweglichen Objekts

Die Liste der technischen Parameter der klassischen Widerspruchsmatrix lautet:

  1. Masse/Gewicht eines beweglichen Objektes
  2. Masse/Gewicht eines unbeweglichen Objektes
  3. Länge eines beweglichen Objektes
  4. Länge eines unbeweglichen Objektes
  5. Fläche eines beweglichen Objektes
  6. Fläche eines unbeweglichen Objektes
  7. Volumen eines beweglichen Objektes
  8. Volumen eines unbeweglichen Objektes
  9. Geschwindigkeit
  10. Kraft
  11. Spannung oder Druck
  12. Form
  13. Stabilität der Zusammensetzung des Objektes
  14. Festigkeit
  15. Haltbarkeit eines beweglichen Objektes
  16. Haltbarkeit eines unbeweglichen Objektes
  17. Temperatur
  18. Helligkeit/Sichtverhältnisse
  19. Energieverbrauch eines beweglichen Objektes
  20. Energieverbrauch eines unbeweglichen Objektes
  21. Leistung, Kapazität
  22. Energieverluste
  23. Materialverluste
  24. Informationsverlust
  25. Zeitverlust
  26. Materialmenge
  27. Zuverlässigkeit (Sicherheit)
  28. Messgenauigkeit
  29. Fertigungsgenauigkeit
  30. Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren
  31. Negative Nebeneffekte des Objektes
  32. Fertigungsfreundlichkeit
  33. Bedienkomfort
  34. Instandsetzungsfreundlichkeit
  35. Anpassungsfähigkeit
  36. Kompliziertheit der Struktur
  37. Kompliziertheit in der Kontrolle der Steuerung
  38. Automatisierungsgrad
  39. Produktivität

Die Reihenfolge der Einträge dieser Liste folgt einer gewissen Logik: Am Anfang stehen die Parameter, die relevant sind, wenn ein grundlegend neues technisches System erfunden worden ist und nun marktreif gemacht werden muss. Je ausgereifter das technische System wird, desto wichtiger werden für weitere Verbesserungen die in der Liste weiter hinten stehenden Parameter.

Ein technischer Widerspruch bedeutet, dass sich bei der Anwendung einer bestimmten Technologie ein bestimmter technischer Parameter verbessert, während sich ein anderer technischen Parameter verschlechtert. Die Widerspruchsmatrix enthält Listen vorgeschlagener innovativer Prinzipien als Funktion der beiden betroffenen Parameter. Wegen der Größe der Widerspruchsmatrix können im Folgenden nur Ausschnitte gezeigt werden, aber die vollständige Widerspruchsmatrix kann hier heruntergeladen werden.

Die Widerspruchsmatrix enthält Vorschläge zum Lösen technischer Widersprüche. Vertikal ist der sich verbessernde, horizontal der sich verschlechternde Parameter aufgetragen. Die gesamte Widerspruchsmatrix ist zu groß, um sie hier darstellen zu können.<span

Die beiden eben behandelten technischen Widersprüche lauten über technische Parameter ausgedrückt:

Wenn der Motor stärker wird,
sich verbessernder Parameter ist 9: Geschwindigkeit
sich verschlechternder Parameter ist 19: Energieverbrauch eines beweglichen Objektes

beziehungsweise

Wenn die Versorgungsspannung erhöht wird,
sich verbessernder Parameter ist 18: Helligkeit/Sichtverhältnisse
sich verschlechternder Parameter ist 16: Haltbarkeit eines unbeweglichen Objektes

Für die Lösung der beiden technischen Widersprüche relevanter Teil der Widerspruchsmatrix.

In der Abbildung ist der für die beiden Beispielwidersprüche relevante Teil der Widerspruchsmatrix zu sehen. Die Diagonaleinträge sind grau gefärbt, weil diese in einem technischen Widerspruch im Regelfall nicht auftreten: Es müsste sich nämlich derselbe (abstrahierte) technische Parameter gleichzeitig verbessern und verschlechtern. Die weißen Felder enthalten die Nummern vorgeschlagener innovativer Prinzipien.

Die Widerspruchsmatrix beruht auf einer Analyse realer technischer Systeme, d.h., die Einträge in der Widerspruchsmatrix sind die nicht die Ergebnisse irgendeines Brainstormings der Autoren der Widerspruchsmatrix. Es gibt 39 technische Parameter, ohne die Diagonalelemente hat die Widerspruchsmatrix also 1482 Felder. Entstanden ist die ursprüngliche Widerspruchsmatrix aus der Analyse russischer Erfindungsscheine. Diese entsprechen den Patenten aus westlichen Ländern, beschreiben jedoch die Erfindung kompakt und verständlich, während ein westliches Patent im Regelfall versucht, die Erfindung durch möglichst schlecht verständliche und umständliche Formulierungen im Patenttext zu verstecken.

Auch wenn es hierdurch möglich war, Zehntausende von Erfindungen und ihre durch sie gelösten technischen Widersprüche auszuwerten, verteilen sich diese Zehntausende von Erfindungen auf die 1482 Felder der Widerspruchsmatrix – und ihre Verteilung auf die 1482 Felder ist dazu noch höchst ungleichmäßig. Es sollte daher nicht wundern, dass es für viele Kombination aus sich verbesserndem und sich verschlechterndem Parameter nicht genügend Daten gibt, um das betreffende Feld in der Widerspruchsmatrix sinnvoll füllen zu können. Deshalb enthalten eine Reihe von Feldern keine Einträge, sondern sind blau gefüllt.

Für den technischen Widerspruch

Wenn die Versorgungsspannung erhöht wird,
sich verbessernder Parameter ist 18: Helligkeit/Sichtverhältnisse
sich verschlechternder Parameter ist 16: Haltbarkeit eines unbeweglichen Objektes

folgen aus der Widerspruchsmatrix wegen einer unzureichenden Datenbasis daher keine Ratschläge für anzuwendende innovative Prinzipien. Für den technischen Widerspruch

Wenn der Motor stärker wird,
sich verbessernder Parameter ist 9: Geschwindigkeit
sich verschlechternder Parameter ist 19: Energieverbrauch eines beweglichen Objektes

werden die folgenden innovativen Prinzipien vorgeschlagen:

 8: Gegengewicht
15: Anpassung / Dynamisierung
35: Veränderung von Eigenschaften / des Aggregatszustandes
38: Starkes Oxidationsmittel

Das Prinzip 8 „Gegengewicht/Gewichtskompensation“ besagt unter anderem, dass Unwuchten vermieden werden können, indem Gegengewichte verwendet werden. Dies gilt nicht nur für die Räder, die bekanntermaßen bei jedem Auto ausgewuchtet werden, sondern auch für andere rotierende Objekte wie z.B. die Kurbelwelle des Motors. Ansonsten bezieht sich dieses Prinzip primär auf Systeme, in denen die Schwerkraft eine Rolle spielt, weil Objekte angehoben oder in einer bestimmten Höhe gehalten sollen; diese Aspekte sind dementsprechend auf ein Auto nicht anwendbar.

Das Prinzip 15 „Anpassung/Dynamisierung“ fordert, dass das System sich zu jedem Zeitpunkt an die gerade geltenden Bedingungen anpassen soll. Dynamisierung bedeutet, dass sich Parameter des technischen Systems verändern können, und zwar basierend auf Parametern seiner Umwelt, also seines Obersystems. Zum Beispiel ist in einigen Automobilen bereits umgesetzt, dass nicht alle Zylinder des Motors ständig arbeiten, sondern dass einige Zylinder abgeschaltet werden können, wenn gerade weniger Leistung erforderlich ist.

Man könnte sich jedoch auch andere Arten von Dynamisierung vorstellen – wie diese dann realisiert werden könnten, ist die intellektive Herausforderung beim Erarbeiten einer tatsächlichen Lösung aus einem innovativen Prinzip. Zum Beispiel ist das Abschalten einzelner Zylinder nicht unbedingt das optimale Vorgehen, da der Motor dann nur noch eingeschränkt „rund“ läuft. Eine bessere Lösung wäre es, den Hubraum des einzelnen Zylinders je nach Kraftbedarf zu verändern – eine Umsetzung dieser Idee ist allerdings bisher noch nicht bekannt.

Die notwendige Anzahl der Zylinder eines Automotors sowie ihr jeweiliger Hubraum sind durch die maximal notwendige Motorleistung bestimmt. Eine heute bereits in sparsamen Automodellen umgesetzte Form der Dynamisierung besteht im Abschalten einzelner Zylinder, wenn aktuell nur eine geringere Leistung benötigt wird. Eine fortgeschrittenere Form der Dynamisierung bestünde im Verändern des Hubraums der einzelnen Zylinder.

Das Prinzip 35 „Veränderung des Aggregatzustandes/der Eigenschaften“ ist wahrscheinlich das universellste aller innovativen Prinzipien. Letztendlich werden in diesem Prinzip drei verschiedene Stufen von Veränderungen vorgeschlagen: Änderung eines thermodynamischen Aggregatzustandes (z.B. von fest zu flüssig), Änderung eines Quasi-Aggregatzustandes (z.B. von fest zu elastisch oder porös) und Änderung einer sonstigen Eigenschaft. Poröse Materialien entstehen durch Einbringen sehr kleiner Gasbläschen in einen Festkörper und sind daher eine Art Mischung der Aggregatzustände fest und gasförmig. Das Einbringen solcher Gasbläschen in Metall erlaubt es, bei gleicher Steifigkeit Gewicht einzusparen. Gewichtseinsparung bei der Autokarosserie führt zu einer Verringerung des Kraftstoffverbrauchs und/oder zu einer Erhöhung der Beschleunigung des Autos.

Das Prinzip 38 „Starke Oxidationsmittel“ schlägt vor, die Sauerstoffkonzentration zu erhöhen und/oder normalen Sauerstoff durch Ozon ersetzen. Ozon ist eine besonders reaktive Form des Sauerstoffs und kann mittels elektrischer Entladung oder durch Bestrahlung mit ultravioletter Strahlung erzeugt werden. Wird die Umgebungsluft, die vom Motor angesaugt wird, so behandelt, so kommt es zu einer stärkeren Reaktion mit dem Treibstoff. Dieses kann unter Umständen bei gleicher abgegebener Leistung den Kraftstoffverbrauch verringern.

Matrix 2003