Michael Patra

Ursachen-Wirkungs-Analyse (RCA)

Eine Root-Cause-Analyse (RCA), also eine Ursachen-Wirkungs-Analyse, wird durchgeführt, um die wahren Ursachen eines erkannten Problems zu finden. Dieses Problem wird als Ausgangsproblem bezeichnet. Das Ausgangsproblem ist ein negativer Effekt bzw. ein unerwünschter Zustand, zum Beispiel der Zustand „Unangenehmer Geruch ist vorhanden“.

Eine Ursache beschreibt eine kausale Abhängigkeit: Sofern die Ursache A erfüllt ist, kann die Wirkung B eintreten. Beispiel: Sofern ein mit stinkenden Stoffen gefüllter Abfallbehälter offen ist, kann der Geruch entweichen.

Der Pfeil zeigt von der Ursache zur Wirkung.

Sowohl die Wirkung „Störender Geruch in der Umgebung des Behälters“ als auch die Ursache „Abfallbehälter ist offen“ beschreiben jeweils einen Zustand. Eine Ursache-Wirkungs-Verknüpfung ist also eine Relation zwischen zwei Zuständen.

Eine gefundene Ursache kann selbst wiederum Folge einer anderen Ursache sein, und so weiter. Die meisten gefundenen Ursachen sind damit „nur“ Zwischenursachen. Die Zwischenursachen sind selber Folge anderer, grundlegenderer Ursachen – sie sind also gleichzeitig Ursache und Folge, weswegen eine Bezeichnung wie Zwischenzustand eigentlich besser wäre. Insgesamt bildet sich eine Ursachenkette, die bei der Grundursache endet.

Eine Ursachenkette enthält zusätzlich Zwischenursachen.

Im Rahmen der Analyse ist das Ausgangsproblem der einzige Zustand, der nur Folge, nicht aber Ursache ist. Die Grundursachen treten nur als Ursache, nicht als Folge auf. Die Zwischenursachen (Zwischenzustände) sind sowohl Ursache als auch Wirkung. Die hier verwendete Definition einer Grundursache entspricht der offiziellen Schule. In der Praxis ist es manchmal leichter, eine gefundene Zwischenursache direkt zu beheben. In diesem Zusammenhang wird der Begriff „Grundursache“ für diejenige Ursache, die nachher tatsächlich behoben wird, verwendet.

Das größte deutsche Eisenbahnunglück der jüngeren Geschichte war der ICE-Unfall von Eschede. Das Ausgangsproblem ist also die Zerstörung eines Hochgeschwindigkeitszuges und der Tod vieler seiner Insassen. Die unmittelbare Ursache war, dass ein ICE in eine Brücke geschleudert ist. Um die Wiederholung eines solches Unfalls zu verhindern, ist dieses Wissen jedoch bei weitem nicht ausreichend.

Der ICE-Unfall von Eschede war das größte Eisenbahnunglück der jüngeren deutsche Geschichte.

Ob ein Zustand eine Zwischenursache (ein Zwischenzustand) ist, kann getestet werden, indem mittels eines „warum“ danach gefragt wird, ob er eine Ursache besitzt. Hierbei ist jedoch aufzupassen, weil in der deutschen Sprache dieses Wort leider nach zwei verschiedenen Aspekten fragt, nämlich nach der kausalen Abhängigkeit (oder Bedingung) und nach dem Ziel.

Warum schlägt das menschliche Herz?

In der Ursache-Wirkungs-Analyse ist immer nur die Frage nach der kausalen Abhängigkeit bzw. nach der Bedingung für den Eintritt von etwas gemeint.

Für den Eisenbahnunfall ergibt sich also eine Abfolge von Fragen:

  1. Warum (=was war die Ursache) wurde der Zug zerstört?
    Weil der Zug in eine Brücke geschleudert ist.

  2. Warum (=was war die Ursache) ist der Zug in eine Brücke geschleudert?
    Weil der Zug entgleist ist.

  3. Warum (=was war die Ursache) ist der Zug entgleist?
    Weil ein Radreifen während der Fahrt gebrochen ist.

  4. Warum (=was war die Ursache) ist ein Radreifen während der Fahrt gebrochen?
    Weil der Radreifen zu dünn war.

Ursachenkette des Eisenbahnunfalls.

Wenn eine weitere Warum-Frage nicht mehr sinnvoll ist, hat man eine Grundursache gefunden. Das Beheben einer Grundursache ist der sinnvollste Ansatz, um das Ausgangsproblem zu beheben bzw. für die Zukunft seine Wiederholung zu vermeiden.

Das Eisenbahnunglück von Eschede konnte letztendlich auf die Verwendung ungeeigneter Radreifen in den ICE-Zügen zurückgeführt werden. Nachdem die Grundursache gefunden worden war, konnten Maßnahmen ergriffen werden: Die Hauptlehre aus dem Unglück von Eschede war, dass die Vorschriften über den Aufbau von Radreifen und ihre erlaubte Nutzungsdauer verändert wurden.

Die Stärke einer Ursache-Wirkungs-Analyse (Root-Cause-Analyse, RCA) besteht darin, dass auch sehr komplexe Zusammenhänge von Ursache und Wirkung modelliert werden können. Der vielleicht wichtigste Vorteil gegenüber einfacheren Analyseverfahren ist die konsequente Unterscheidung zwischen Und-Verknüpfungen und Oder-Verknüpfungen.

Viele verschiedene Ursachen können zu einem Stau führen.

Staus haben nicht eine einzige Ursache. Neben einer Streckenüberlastung, also einer z.B. wegen Ferienbeginns erhöhten Anzahl von Fahrzeugen auf der Straße, sind Unfälle, liegengebliebene Fahrzeuge und Baustellen die häufigsten Gründe für die Entstehung eines Staus. Sobald eine dieser Ursachen vorliegt, kann es zu einem Stau kommen. Die logische Verknüpfung, die „wahr“ ist, sobald mindestens einer ihrer Eingänge „wahr“ ist, ist die Oder-Verknüpfung. Die verschiedenen Stauursachen müssen also Oder-verknüpft werden.

Beispiel für eine Oder-Verknüpfung

Um einen Stau sicher verhindern zu können, müssen alle Ursachen verhindert werden. Auch wenn es keine Baustellen mehr gäbe, so kann es trotzdem zu einem Unfall und deswegen zu einem Stau kommen.

Treibstoffe sind brennbar – sonst könnten sie ihre Funktion nicht erfüllen. Aus diesem Grund werden sie in speziellen Tanks gelagert. Gefährlich werden kann es dann, wenn dieser Treibstoff ausläuft und dann mit einer Zündquelle wie z.B. einem Funken in Kontakt kommt. Im Tank ist der Treibstoff sicher vor Zündquellen geschützt, und ohne Zündquelle kann sich auch ausgelaufener Treibstoff nicht entzünden. Das Problem „Brand“ tritt also nur dann auf, wenn beide Ursachen vorhanden sind, d.h, es ist eine Und-Verknüpfung zwischen diesen beiden Ursachen zu verwenden.

Beispiel für eine Und-Verknüpfung

Das Diagramm gibt damit zwei Ansätze vor, wie der Ausbruch eines Feuers verringert werden kann. Der eine Ansatz versucht, das Auslaufen von Treibstoff zu verhindern, z.B. indem der Tank so stabil gebaut wird, dass er auch bei einem Unfall nicht leckt. Der andere Ansatz versucht, die Anwesenheit von Zündquellen zu verhindern.

In Bergwerken war die Anwesenheit explosiver Gase nur schwer zu verhindern. Daher wurde versucht, den Kontakt mit Zündquellen zu verhindern. Grubenlampen mit einer offenen Flamme verwenden hierzu ein Drahtnetz, das die Zündung des Gases außerhalb der Lampe verhindert.

In alten Grubenlampen wird die offene Flamme, die sich im Innern befindet, mit einem Drahtnetz umgeben. Hierdurch kann die Flamme nicht als Zündquelle für das Grubengas wirken.

Und-Verknüpfungen in der Root-Cause-Analyse sind für den Problemlösungsprozess „angenehm“, weil es für die Problembehebung ausreichend ist, nur eine einzelne der verschiedenen Ursachen abzustellen. Je mehr Ursachen vorhanden sind, desto einfacher wird diese Aufgabe. Daher lautet ein wichtiger Rat, möglichst alle Ursachen zu sammeln – auch diejenigen, die man als trivial ansieht oder für die man etwas tiefer nachdenken muss.

Für das Beispiel „Ausbruch eines Brandes“ gibt es noch (mindestens) zwei weitere Ursachen, die für den Ausbruch eines Feuers und die Aufrechterhaltung eines Feuers notwendig sind. Zum einen kann ein Feuer nur dann brennen, wenn Sauerstoff an den Brandherd gelangen kann. Zum anderen brennt eine Flüssigkeit nicht direkt, sondern vielmehr brennen die entzündlichen Gase, die sich über der Flüssigkeit bilden. Diese Gasentstehung geschieht jedoch erst bei Temperaturen oberhalb des sogenannten Flammpunkts. Das ergänzte Diagramm lautet also:

Ursachewirkungsanalyse für den Ausbruch eines Feuers

Das ergänzte Diagramm zeigt also zwei zusätzliche Möglichkeiten auf, wie die Brandgefahr eingedämmt werden kann. Möchte man die Möglichkeiten, die zum Beispiel die Ursache „Flammpunkt“ für den Problemlösungsprozess bietet, näher untersuchen, hilft eine Tabelle der Flammpunkte verschiedener Treibstoffe:

Treibstoff Flammpunkt
Benzin -20 °C
Diesel 55 °C
Standardkerosion (Jet A-1) 38 °C
Sicherheitskerosin (JP-5) 65 °C

Der hohe Flammpunkt von Diesel bedeutet, dass es normalerweise nicht möglich ist, mit einem brennenden Streichholz Dieseltreibstoff anzuzünden – es sei denn, dass man das brennende Streichholz so dicht und so lange an den flüssigen Dieseltreibstoff hält, dass er lokal auf über 55 °C erhitzt wird. Die unterschiedlichen Flammpunkte sind sicherlich nichts, was für einen Autokäufer die Wahl zwischen einem Dieselmotor und einem Ottomotor beeinflussen würde. Für den Besitzer eines Sportbootes ist dieses anders: Bei der Entscheidung für einen Bootsmotor ist das verringerte Risiko eines Feuers ein wichtiges Entscheidungskriterium zugunsten eines Dieselmotor.

Auch wenn ein Boot von Wasser umgeben ist, so ist die größte Gefahr auf einem Sportboot dennoch der Ausbruch eines Feuers. Die Ursache-Wirkungs-Analyse hatte weiter oben gezeigt, dass der Flammpunkt für den Brandausbruch relevant ist. Auf einem Sportboot ist ein wichtiger Vorteil von Dieselmotoren im Vergleich zu Benzinmotoren der höhere Flammpunkt von Diesel.

In Ursache-Wirkungs-Diagrammen treten typischerweise mehr Oder-Verknüpfungen als Und-Verknüpfungen auf. Daher wird daher normalerweise eine vereinfachte Notation verwendet: Wenn Pfeile direkt von einem Kasten zum einem anderen gehen, so bedeutet dies, dass eine Oder-Verknüpfung vorliegt. Das linke und das rechte Diagramm haben also dieselbe Bedeutung:

Oder-Verknüpfungen müssen nicht explizit eingezeichnet werden. Beide Diagramme haben dieselbe Bedeutung.

Grundursachen