Michael Patra

Ideale Maschine

Geht man davon aus, dass ein System bereits soweit ausentwickelt worden ist, dass schädliche Funktionen weitestgehend entfernt worden sind, so kann die Idealität näherungsweise als

I ≈ Funktion / Aufwand

ausgedrückt werden. Eine ideale Maschine ist eine Maschine, deren Idealität unendlich ist. Durch eine Erhöhung der Funktion kann dieses niemals erreicht werden, sondern nur, indem der Aufwand gleich Null wird. Da jede existierende Maschine mit Aufwand zur ihrer Herstellung verbunden ist, führt dies unmittelbar zur Definition einer idealen Maschine:

Eine ideale Maschine ist eine Maschine, die nicht (mehr) existiert, deren Funktion aber trotzdem ausgeführt wird.

Eine solche Definition einer idealen Maschine, die gerade darauf beruht, dass die ideale Maschine (nicht) mehr existiert, wirkt anfangs vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Daher soll hier ein Beispiel gegeben werden, und zwar für eine transportable Maschine zum Lösen mathematischer Aufgaben.

Das ursprüngliche technische System zur Lösung dieser Aufgabe war der Abakus. Er war leicht aus Holz herstellbar und daher bereits vor tausenden Jahren im Einsatz. Nach Experimenten mit mechanischen Addier- und Multiplizierwerken wurde ein fundamentaler Durchbruch im Alltagsleben erst mit der Einführung des Taschenrechners erreicht. Ein Taschenrechner ist zwar aufwendiger als ein Abakus, aber dafür um Größenordnungen leistungsfähiger, so dass seine Idealität I viel größer ist. Dementsprechend hat der Taschenrechner innerhalb weniger Jahrzehnte den jahrtausendelang bewährten Abakus verdrängt.

Der Abakus aus historischer Zeit wurde durch den Taschenrechner ersetzt, sobald die dazu notwendige Halbleitertechnologie zur Verfügung stand. Heutzutage droht der Taschenrechner auszusterben, weil immer mehr Personen ständig ein Smartphone zur Hand haben, mit dem die Funktion „Berechnen mathematischer Ausdrücke“ ebenfalls ausgeführt werden kann.

Mittlerweile ist der Taschenrechner nicht mehr so populär, wie er einmal war, da jedes Smartphone als Taschenrechner eingesetzt werden kann. Dementsprechend gibt es für den Besitzer eines Smartphones wenig Grund, sich zusätzlich noch einen Taschenrechner zuzulegen – er besitzt ja bereits einen virtuellen Taschenrechner auf seinem Smartphone. Der Taschenrechner als materielle Maschine verschwindet also, seine Funktion (das Berechnen mathematischer Ausdrücke) wird jedoch weiterhin erfüllt. Dieses war gerade die Eigenschaft, die eine ideale Maschine ausmacht.

Weiter oben wurde definiert, dass alles das, das zur Lösung einer Aufgabenstellung eingesetzt werden kann, als Ressource bezeichnet wird. Der Taschenrechner wurde erst durch die Entwicklung der Halbleitertechnik ermöglicht. Elektronische Halbleiterbauelemente waren also etwas, das zur Lösung des Problems „Rechnen“ eingesetzt werden konnte. Damit handelt es sich also um Ressourcen. Halbleiterbauelemente müssen jedoch in einem komplexen Prozess hergestellt werden – sie sind zwar verfügbar, aber sie kosten Geld. Dementsprechend handelt es sich um Ressourcen im weiteren Sinne.

Bei einem Smartphone ist die Situation anders. Die Lösung „virtueller Taschenrechner auf einem Smartphone“ ist deswegen so attraktiv, weil das Smartphone sowie vorhanden ist. Niemand kauft sich ein Smartphone primär, weil er damit mathematische Berechnungen durchführen möchte, sondern das Smartphone wird aus einem anderen Grund angeschafft – das Smartphone ist also sowieso vorhanden, und das Rechnen ist dann nur eine Zugabe. Dementsprechend handelt es sich bei einem Smartphone um eine Ressource im engeren Sinne (zumindest sofern es um das Rechnen als Zugabe geht).

Das konsequente Ausnutzen von Ressourcen im engeren Sinne ist die einzige Möglichkeit, eine ideale Maschine zu erreichen oder ihr zumindest näher zu kommen. Die Methoden der Ressourcensuche können angewendet werden, um nach geeigneten Ressourcen, auf die die Funktion der betrachteten Maschine übertragen werden kann, zu suchen.

Das Beispiel eines virtuellen Taschenrechners illustriert den Standardweg, wie sich eine ideale Maschine ergeben kann: Die Funktion der Maschine (Taschenrechner) wird in die Umwelt der Maschine (Smartphone) verlagert. Deswegen wird die Maschine (Taschenrechner) nicht mehr benötigt, und trotzdem wird die Funktion (numerische Berechnungen) der ursprünglichen Maschine weiterhin ausgeführt. In der Nomenklatur des Kapitels „Funktionsmodelle“ ist die betrachtete Maschine ein System, und die Umwelt der Maschine ist das Obersystem. Eine ideale Maschine ist also ein System, dessen Funktion vollständig in das Obersystem verlagert worden ist.

Wie bei der Systemanalyse erklärt worden war, können die Komponenten eines Systems wiederum als eigenes System betrachtet werden. Analog zur idealen Maschine ist die ideale Komponente also eine Komponente, die nicht (mehr) existiert, deren Funktion aber trotzdem ausgeführt wird. Auch um dieses zu erreichen, müssen wiederum Ressourcen des Obersystems ausgenutzt werden, wobei eine Änderung des Wirkprinzips oder die Anwendung physikalischer Effekte helfen kann.

Magnetrührer und Rührstäbchen

Um Flüssigkeiten in Erlenmeyerkolben zu erhitzen, werden in Laboratorien Magnetrührer verwendet. Um eine konstante Temperatur zu erreichen, befindet sich in einem herkömmlichen Magnetrührer eine Elektroheizung sowie eine Messvorrichtung, mittels derer die aktuelle Temperatur gemessen und dann zur Regelung der Heizvorrichtung genutzt wird. Soll jedoch nur eine einzige, feste Temperatur verwendet werden, so kann mittels geeigneter physikalischer Effekte auf eine Messvorrichtung vollkommen verzichtet werden: Die Messvorrichtung wird dann zur idealen Komponente.

Oben: Traditionelle Heizungsregelung. Unten: Eine Heizung mit Temperaturregelung kann auch ohne Mess- und Regelungsvorrichtung realisiert werden, indem die schlagartige Änderung der magnetischen Eigenschaften beim Erreichen der Curie-Temperatur ausgenutzt wird.

Die sowieso vorhandenen Rührstäbchen (Ressource im engeren Sinne) können zur Heizung verwendet werden, indem diese mittels eines induzierten Wirbelstroms analog zu einem Induktionsherd erhitzt werden. Das Wirkprinzip der Heizung wird also von Erhitzung mittels Ohmschen Widerstands auf Erhitzung mittels Wirbelstroms umgestellt. Der induzierte Wirbelstrom und damit auch die Erhitzung ist stärker, wenn das verwendete Material ferromagnetisch ist. Durch den Curie-Effekt verschwinden oberhalb einer bestimmten Temperatur die ferromagnetischen Eigenschaften, so dass ein Material mittels Wirbelstromheizung genau bis zu seiner Curie-Temperatur aufgeheizt wird. Durch Änderung der Materialzusammensetzung kann die Curie-Temperatur weitestgehend frei gewählt werden. Es wird also eine stabile Temperatur im Erlenmeyerkolben erreicht, ohne dass irgendeine Mess- oder Regelungsvorrichtung notwendig wäre. Die ideale Komponente ist also erreicht worden.

Der völlige Wegfall einer bestimmten Komponente kann oftmals durch eine Änderung des Wirkprinzips einer anderen Komponente erreicht werden. Ein Diesel- oder Ottomotor erzeugt bei kleiner Drehzahl nur ein kleines Drehmoment. Zum Beschleunigen eines Autos oder eines Zugs ist jedoch gerade bei kleiner Drehzahl ein hohes Drehmoment notwendig. Aus diesem Grund muss zwingend ein Getriebe eingebaut werden. Ein Elektromotor liefert dagegen bei kleinster Drehzahl sein größtes Drehmoment. Durch den Übergang vom Dieselmotor zum Elektromotor kann also auf das Getriebe verzichtet werden. Bei einer Lokomotive, in der eine viel größere Antriebsleistung als bei einem Auto vom Motor zu den Rädern übertragen werden muss, ist der Wegfall des komplexen Getriebes ein signifikanter Vorteil.

Ein Dieselmotor benötigt ein Getriebe, um auch bei kleiner Drehzahl ein hohes Drehmoment erreichen zu können. Ein Elektromotor benötigt dagegen kein Getriebe.

Ideales Endresultat